Von Namir Martins für die FIBRA.
Frankfurt, 06. März 2022
“Man muss einen eisernen Magen haben, um in Brasilien des Bolsonaros zu leben. Dieses Land ist nichts für Amateure! Jeden Tag ein neuer Skandal”, sagen die Brasilianer in einer Mischung aus Resignation und Sarkasmus.
Eine Geschichte, die unbemerkt bleiben könnte, ein Angriff unter der Gürtellinie, entpuppte sich als neuer nationaler Skandal.
Alles begann in einer Nacht, am 12. Mai 2022, als der Countrysänger Zé Neto (Sertanejo) Anitta bei einer Show in der Stadt Sorriso (Mato Grosso) kritisierte. Er sagte, dass er keine staatliche Unterstützung brauche. Der Sänger, der ein Anhänger von Bolsonaro ist, kritisierte das Rouanet-Gesetz aufgrund falscher Informationen. Er sagte auch, dass er sich nicht den “Arsch” tätowieren muss, um Shows zu bekommen, denn wer bezahlt, „ist das Volk“.
Die Äußerungen des Countrysängers wurden in den sozialen Netzwerken von Anhängern des Bolsonaros gefeiert und bejubelt. Der Sänger hat sich jedoch selbst ins Knie geschossen! Ein wichtiges Problem kam ans Licht: Countrysänger, die vielleicht nicht einmal das Rouanet-Gesetz anwenden, aber sehr hohe Gebühren von kleinen Gemeinden in ganz Brasilien erhalten, das heißt, öffentliche Gelder. Infolgedessen wurde ein System von Millionen-Dollar-Verträgen aufgedeckt, oft ohne Ausschreibung.
Das Rouanet-Gesetz ist der wichtigste Mechanismus zur Förderung der Kultur in Brasilien. Das Gesetz 8.313/91 führte das Nationale Kulturförderungsprogramm (Pronac) ein. Es legt Regeln, wie die Bundesregierung Ressourcen für die Durchführung künstlerischer und kultureller Projekte zur Verfügung bereitstellen muss, fest.
Diese Projekte können in Artikel 18 oder Artikel 26 des Rouanet-Gesetzes eingerahmt werden. Der Artikel 18 berechtigt die Unterstützer, 100 % des investierten Betrags abzuziehen, sofern die Grenze von 4 % der Steuerschuld für juristische Personen und 6 % für natürliche Personen eingehalten werden. Artikel 26 sieht für juristische Personen einen Einkommensteuerabzug von 30 % (bei Sponsoring) bzw. 40 % (bei Schenkung) vor; und 60 % (bei Sponsoring) bzw. 80 % (bei Spenden) für Einzelpersonen. Ursprünglich enthielt das nach seinem Schöpfer benannte Gesetz, dem Diplomaten Sérgio Paulo Rouanet, drei Mechanismen: den National Culture Fund (FNC), den Fiscal Incentive und den Cultural and Artistic Investment Fund (Ficart). Dieser letzte Fond wurde nie in die Praxis umgesetzt.
Der symbolträchtigste Projekt bisher war das Konzert von Gusttavo Lima, das die Stadtverwaltung von Conceição do Mato Dentro, einer Stadt in Minas Gerais mit 8.000 Einwohnern 1,2 Millionen R$ gekostet hat.
Als der Anhänger Bolsonaros, Gusttavo Lima, das Rouanet-Gesetz kritisierte, enthüllte er schließlich viele Millionenverträge, die oftmals ohne Ausschreibung abgeschlossen wurden.
Lima diffamiert brasilianische Künstler, die das Rouanet-Gesetz anwenden, kritisiert und bezeichnet sie als „Kommunisten“ und Ausbeuter öffentlicher Gelder. KünstlerInnen, die er den „Mimimi-Generation“ zuordnet. Gusttavo Lima hat während der Pandemie (die mehr als 600.000 Brasilianern das Leben kostete) Menschenansammlungen gefördert. Jetzt weinte Lima in einer Sendung und berichtete, dass er viel kritisiert werde. Tja, Krokodile weinen auch! Gusttavo Lima besitzt ein Flugzeug im Wert von R$ 250 Millionen (BRL) und ein Boot, das er für 25 Millionen BRL vom Sänger Roberto Carlos gekauft hat. In einer öffentlichen Sendung stellte er jedoch klar, dass er auch Shows macht, die mit öffentlichen Geldern bezahlt werden.
Der Sertanejosänger Zé Neto, der mit der Kritik an Anittas Intimtattoo den Funken entzündete, kommentierte Limas Live und solidarisierte sich mit ihm. Er sagte auch, dass er “eine schlechte Phase durchmache” und dass die Situation “nichts mit Lima zu tun” habe. Auch wenn es “nichts damit zu tun” habe, habe Gusttavo Lima die Reaktionen auf die Kritik von Zé Neto an Anitta bereits zu spüren bekommen. Das Staatsministerium (MP) von Rio de Janeiro leitete eine Untersuchung zu einem Millionenvertrag für ein Konzert des Sängers in der Stadt Magé ein. Eine ähnliche Untersuchung läuft in der 8.000-Einwohner-Stadt São Luiz, wo für das Konzert R$800.000 vorgesehen waren. Das Rathaus von Conceição do Mato Dentro (MG) kündigte die Absage der Show des Duos Bruno und Marrone an.
Das Unternehmen „Balada Eventos e Produções Ltda“, das die Shows von Gusttavo Lima verwaltet, erhielt von der Nationalbank für wirtschaftliche und soziale Entwicklung (BNDES) zwei Darlehen in Höhe von insgesamt 1,03 Millionen R$. Dieses Geld ist für zinsgünstige Anschaffungen von Maschinen und Anlagen bestimmt, eine Situation dieser Art ist nicht das erste Mal eingetreten. Balada Eventos e Produções erhielt zwischen 2018 und 2019 bereits schon einmal zwei Darlehen. Der Gesamtbetrag betrug damals rund R$ 900.000.
Der Oberste Gerichtshof (STJ) reagierte schließlich nach all diesen Skandalen und setzte die Entscheidung aus, die die Abhaltung der millionenschweren „Banana Party“ in der Stadt Teolândia, Bahia, genehmigte. Der Sertanejo Gusttavo Lima wäre eine der Hauptattraktionen gewesen.
Der Antrag auf Aussetzung war von der Staatsanwaltschaft von Bahia (MP-BA) gestellt worden. Das Gericht sah den Verdacht auf Unregelmäßigkeiten bei den Ausgaben des Geldes bestätigt. Allein Gusttavo Lima würde mehr als R$ 700.000( BRL) an Honorar erhalten.
Die Gemeinde Teolândia befindet sich seit Ende letzten Jahres im offiziellen Ausnahmezustand und würde mehr als zwei Millionen R$ für die Party ausgeben. Insgesamt hätte das Festival 28 Shows beinhaltet, die Gesamtkosten beliefen sich auf R$ 2 Millionen, was 40 % der Gelder entsprach, die die Gemeinde im letzten Jahr für die Gesundheit ausgegeben hatte.
Diese kleinen Städte verwandeln ihre traditionellen lokalen Partys in große Shows, die von Agrarunternehmen gesponsert werden – wie im Fall des “Bananenfestivals” in Teolândia. Die Sertanejosänger wurden Teil dieser Partys. Die Sertanejos haben große Vermögen aufgebaut und besitzen große Farmen. Die meisten dieser Sänger und Duos sind Teil der Agrarindustrie.
Journalisten, die den Sertanejo-Musikmarkt täglich verfolgen, sagen, dass Zé Neto zurzeit eine große Krise durchmacht und dass er hinter den Kulissen von Kollegen scharf kritisiert wird.
Unterdessen sprach Anitta am Sonntag (29.05.22) in einer kurzen Nachricht auf Twitter erstmals über den Fall: „Und ich dachte, ich lasse mir gerade ein Tattoo auf dem “Arsch“ stechen.“
Moral der Geschichte: Hund, der auf den räudigen Schwanz des anderen schaut, vergisst oft die Räude am eigenen Schwanz! Oder kurz gesagt: es wäre besser gewesen, Anittas Schmetterling in Ruhe zu lassen…
Namir Martins (Collective Demasking Bolsonaro now! – Deutschland)
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